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AOR Dr. Klaus-Hinrich Roth ist verstorben

Klaus-Hinrich Roth wurde 1940 im heutigen Sachsen-Anhalt geboren und wuchs in München auf. An der Ludwig-Maximilians-Universität wurde er mit einer Arbeit zum Begriff Deutsch. Prolegomena zur neueren Wortgeschichte bei Werner Betz promoviert, die 1978 im Verlag von Wilhelm Fink erschien, den Roth noch persönlich kannte. Schon in dieser sprachhistorisch detailreichen ‚Kurzfassung‘ einer viel breiter angelegten Gedanken- und Materialsammlung wies er darauf hin, wie sehr einzelne Begriffe sowohl im Sprachgebrauch als dann auch in der Kontroverse erst Bedeutung gewinnen. Hier kündigte sich bereits an, was den politisch-wissenschaftlichen Lebenslauf gerade seiner Generation prägte, nämlich gesellschaftlichen Verhältnissen und auch der Wissenschaft selbst gegenüber stets kritisch zu bleiben, aber auch unermüdlich konstruktive Vorschläge zu ihrer Verbesserung zu machen. Dies prägte auch sein Engagement in der Lehrerbildung, die ihm besonders am Herzen lag und die er als gesellschaftliche Emanzipationsaufgabe verstand.

In den 70er Jahren ging Klaus-Hinrich Roth dazu gemeinsam mit Wilhelm Gössmann an die damalige Pädagogische Hochschule Rheinland, Abteilung Neuss, und, als diese 1980 geschlossen wurde, an die damals noch nicht nach Heinrich Heine benannte Düsseldorfer Universität. Man darf wohl sagen, dass er sinnbildlich ‚Herz und Mund und Tat und Leben‘ des Lehramtsstudienganges Deutsch gleichermaßen in der Literaturdidaktik wie in der Sprachdidaktik war (wenngleich dem häufigen Besucher klassischer Konzerte die aufklärerische Strenge Beethovens näher stand als die Innerlichkeit Bachs). Als die Universität viele Jahre später ihren Lehramtsstudiengang verlor, sah er dies kritisch. Noch heute erinnern sich Lehrerinnen und Lehrer an seine außergewöhnlichen Seminare zu Heine, Brecht und Tucholsky – auch zum literarischen Schreiben und zur Geschichte des Deutschunterrichts. Schulbüchern galt ein eigenes Forschungsinteresse.

Von seinen Veröffentlichungen bleiben zwei mit Wilhelm Gössmann herausgegebene Bände besonders in Erinnerung, zunächst Poetisierung – Politisierung. Deutschlandbilder in der Literatur bis 1948 und dann Literarisches Schreiben aus regionaler Erfahrung. Sein in beiden Bänden erkennbar aufleuchtendes, literaturdidaktisches Credo, dass nämlich die Vermittlungsperspektive keine methodisch-nachgeschaltete Apparatur, sondern inhärente Perspektive literarischer Texte sei, konnte er auch in einer weiteren fachlichen Leidenschaft, der Ausstellungsgestaltung, anbringen, z. B. bei der großen Heine-Ausstellung ‚Ich Narr des Glücks‘ 1997. In seinem Engagement im Rahmen der Evangelischen Stadtakademie in Düsseldorf zeigte er, wie er die Germanistik als öffentliche Wissenschaft auch in der eigenen Region verstand.

In der Reformzeit der Düsseldorfer Germanistik in den 1990er Jahren wurde er zu deren Impulsgeber. So erfand er die ‚Germanistisch-fundierten Schlüsselqualifikationen‘, aus denen später die Professuren für Schriftlichkeit und Mündlichkeit hervorgingen. Die Düsseldorfer Germanistik ehrte ihn im Jahr 2000 für sein prägendes Engagement mit einer Festschrift zum 60. Geburtstag mit dem Titel Die reformierte Germanistik. Dokumentation zur Düsseldorfer Studienreform, an der über 50 Autorinnen und Autoren teilnahmen. Auch auf NRW-Landesebene hat sich Klaus-Hinrich Roth für Studienreformen eingesetzt, und blieb doch stets im Herzen Germanist. Noch viele Jahre nach seiner Pensionierung hat er weiterhin Seminare veranstaltet, sowie er – hier in privaterem Rahmen – an Literaturkreisen teilnahm. Man darf ihn wohl als literarischen Dauerleser mit dialektisch-produktiver Streitlust bezeichnen – ohne dass dabei der Humor zu kurz kam. Der kulturelle Widerspruchsgeist des Bildungsbürgers, das war seine Vorstellung von intellektueller Konsequenz.

Am 22.6.2024 ist Klaus-Hinrich Roth in Neuss verstorben. Dass gerade Bildungseinrichtungen ihren Erinnerungspersönlichkeiten ein ehrendes Andenken zu bewahren suchen, ist eine gute Geste, die auch den Institutionen selbst hilft, human zu bleiben. Bei dem Verstorbenen kommen die als Erinnerungsträger hinzu, die nicht zuletzt wegen ihm Lehrerin bzw. Lehrer geworden oder auch geblieben sind. Es galt seine milde Unermüdlichkeit dem, was gerade Vermittlung von Sprache und Literatur bewirken kann, weist sie über den Tag hinaus. Ein anderer – von ihm gern bereister – Autor, Theodor Fontane, meinte in seinem Stechlin-Roman verschmitzt: „Es kommt für einen Märkischen nur darauf an, überhaupt mit dabei gewesen zu sein; das andere steht in Gottes Hand.“ Man darf wohl sagen, dass Klaus-Hinrich Roth entgegen solcher Distanz-Schelmerei seinem Fach stets aktiv-kritisch zuarbeitete, gerade dann, wenn es auf dessen öffentliche Vermittlungsaufgabe ankam. Er wird vor allem denjenigen fehlen, denen an der heutigen Gesellschaft Vieles fehlt: zuallererst jene literarischen Erzählräume, in denen sich Menschen selbsterzählend begegnen können.

(Ulrich Welbers)

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